Freitag, 16. November 2012

Northanger Abbey (Jane Austen)

(zu dt.: „Die Abtei von Northanger“)
Die 17-Jahrige Catherine Morland hat eine große Leidenschaft: Romane. Wie sonst sollte sie sich mit genügend Informationen versorgen, wenn sie wissen will, wie sie sich als zukünftige Heldin in allen Lebenssituationen zu verhalten hat?
Eine unerwartete Gelegenheit ihr Heldinnen-Potential unter Beweis zu stellen, ergibt sich, als zwei Freunde der Familie, Mr. und Mrs. Allen, Catherine einladen für einige Wochen mit nach Bath zu kommen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verlässt sie ihr kleines Heimatdorf, Fullerton, und wirft sich in den blendenden Glanz und die Aufregung der gehobenen Gesellschaft. Sie besucht Bälle, geht ins Theater, unternimmt wilde Kutschenfahrten, wohnt Dinnern bei und findet neue Freunde. Und vielleicht auch die große Liebe?
Als sie schließlich von der sympathischen Miss Tilney und deren Bruder eingeladen wird, mit nach Northanger Abbey zu kommen, meint Catherine dort einem dunklen Geheimnis auf die Spur zu kommen, genau wie es in ihren Romanen passiert.


Mit Catherine Morland hat Jane Austen eine naive sowie etwas weltfremde Protagonistin geschaffen, die der Überzeugung ist, die Welt sei genau wie sie es aus ihren Liebesgeschichten kennt. Dadurch teilt sie andere gerne nach dem ersten Eindruck in die platten Kategorien „gut“ und „böse“ ein, ohne genauer hingesehen zu haben, was im Laufe der Geschichte für so manche unangenehme Überraschung für Catherine sorgt. Oft ist sie blind gegenüber schlechter Absichten anderer Personen und lässt sich leicht beeinflussen. So freundet sich Catherine zum Beispiel zu Beginn mit der egoistischen, wankelmütigen Isabella Thorpe an und wird sich erst spät deren schlechten Charakters bewusst.
Miss Morland wird aber auch als herzensguter, offener und freundlicher Mensch beschrieben, der stets in der besten Absicht handelt, wodurch sie die Freundschaft der netten Tilneys gewinnt.
Catherine ist in dieser Erzählung nicht nur auf der abenteuerlichen Suche nach persönlichem Glück, sondern auch nach dem Erlangen geistiger Reife.

„Northanger Abbey“ gilt als erstes größeres Werk Jane Austens. Sie verkaufte das Manuskript bereits 1803, aber es wurde erst nach ihrem Tod 1818 veröffentlicht.
Viele für sie typische Elemente finden sich bereits in dem Roman, wenn auch weniger stark ausgeprägt als in späteren Werken. so zum Beispiel die fast ins Lächerliche gezogenen Charaktere, die ihre Schwächen allerdings noch nicht vollständig selbst aufdecken; hin und wieder bedarf es einer unterstützenden Erklärung des allwissenden Autors, der uns die Charaktere explizit beschreibt. Auch die Ironie und Süffisanz, die in Austens Dialogen oft zu finden sind, sind schon zum Großteil vorhanden. Weiters hat mich wieder einmal fasziniert, wie sie es schafft die Geschichte spannend zu machen, obwohl nichts wirklich Besonderes oder Aufwühlendes geschieht.
Leider ist der Roman eher simpel gestrickt und teilweise vorhersehbar. Das Handlungs-Schema lässt sich in einem Satz zusammen fassen: Zuerst kommt Catherine nach Bath und verbringt danach einige Wochen in Northanger, ehe der Schluss etwas abrupt und gezwungen schnell die Geschichte abschließt.

Das Hauptziel des Buchs, Gothic Novels aufs Korn zu nehmen, ist jedoch sehr gut gelungen. Gothic Novels – schaurige Romane, oft auch mit einer Liebesgeschichte verbunden – waren zu Jane Austens Zeit vor allem unter jungen Frauen der letzte Schrei. Auch im deutschsprachigen Raum waren ähnliche Geschichten (heute bekannt unter dem Sammelbegriff „schwarze Romantik“) sehr beliebt. Indem Austens Hauptcharakterin versucht nach dem Vorbild der Heldinnen ihrer Romane zu handeln und dadurch scheitert, parodiert und kritisiert die Autorin dieses Genre.

„Northanger Abbey“ hat mir aufgrund des geistreichen Humors gut gefallen. Dieser ist allerdings weniger ausgereift als in ihren späteren Romanen. Als Einstiegswerk für Jane Austen würde ich eher „Pride and Prejudice“ („Stolz und Vorurteil“) oder „Sense and Sensibility“ („Verstand und Gefühl“) empfehlen. Aber alle, die schon etwas von ihr gelesen haben und Lust haben sich an einem weiteren ihrer Romane zu versuchen, werden „Northanger Abbey“ sicher mögen, das es zumindest in Grundzügen bereits alle Zutaten enthält für die wir Austens Werke lieben.

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