Freitag, 12. Oktober 2012

The Woman in Black (Susan Hill)

(zu dt.: “Die Frau in Schwarz”)




Arthur Kipps, bereits zum zweiten Mal verheiratet, verbringt einen gemütlichen Weihnachtsabend im Kreise der Familie. Als seine Stiefsöhne sich gegenseitig  Gruselgeschichten erzählen, erinnert er sich plötzlich wieder an schreckliche Begebenheiten, die sich vor Jahren ereignet haben und ihn dazu veranlassen, sich alles von der Seele zu schreiben:
Zuerst scheint es nur ein banaler Arbeitsauftrag zu sein, den Mr. Bentley dem damals 23-Jahrigen Notar erteilt und der ihn in das abgelegene Örtchen Crythin Gifford führt. Dort soll Arthur Kipps dem Begräbnis von Mrs. Drablow beiwohnen und alle Unterlagen in ihrem Haus, Eels Marsh, für die Testamentssprechung ordnen, doch der Fall ist schwieriger als gedacht. Zuerst fällt Kipps beim Begräbnis plötzlich eine schwarz gekleidete Frau auf und dann schweigen die Dorfbewohner erschrocken, sobald das Thema auf Mrs. Drablow fällt. Er beginnt zu begreifen, dass ein dunkles Geheimnis auf diesem Ort und dem Haus der Verstorbenen lastet. Hartnäckig versucht er daraufhin aufzudecken, was dort geschehen ist, ohne sich über die verheerenden Folgen im Klaren zu sein.

Der Untertitel „A Ghost Story“ beschreibt die Erzählung treffend. Denn sie versetzt den Leser nicht in Schrecken – erfüllt also weder die Ansprüche eines Horror-Romans noch eines Thrillers – sondern schildert unaufgeregt und doch mitfühlend aus Sicht des jungen Arthur Kipps seine Erlebnisse.

Arthur Kipps ist ein eher in sich gekehrter, sehr nachdenklicher Mensch, der Ruhe und Natur genießt, was sich in vielen ausführlichen Landschafts- und Wetterbeschreibungen äußert. Hervorgehoben wird, dass er sehr auf Vernunft und Rationalismus bedacht ist und somit allem Irrationalen sehr skeptisch gegenüber steht.
Arthurs einziger Helfer ist der Terrier Spider, der ihm von einem Dorfbewohner geliehen wird. Der Hund wittert unheimliche Vorkommnisse und geisterhafte Präsenzen im Haus der verstorbenen Mrs. Drablow, bevor ein Mensch es könnte und warnt Kipps so mehrmals vor. Er ist auch der Einzige, der dem jungen Notar in Momenten großer Angst durch seine Anwesenheit Trost spendet.

Neben der Verweigerung des Hauptcharakters an Übersinnliches zu glauben und die Tatsache, dass er als unwissender Außenstehender in das Geschehen hinein gerät, sind die einsame Gegend, die Abgeschiedenheit des alten Hauses, der verfallene Friedhof davor und die verschwiegenen Dorfbewohner, die stets mehr zu wissen scheinen, als sie preis geben, alles typische Zutaten einer schönen Schauergeschichte.
Auch die Tatsache, dass das Haus, Eels Marsh, nur über einen schmalen sandigen Landweg erreichbar ist, der aufgrund der Gezeiten alle paar Stunden überflutet wird und oft in dichtem Nebel liegt, trägt zu einer beklemmenden Atmosphäre bei.
Das Ende wird hier natürlich nicht verraten; es sei nur gesagt, dass die Wendung der Geschichte, wenn sie auch nicht gänzlich unerwartet kommt, einen doch erschüttert.

Susan Hills Schreibstil wirkt passend zum Setting etwas antiquiert und angestaubt, jedoch nie umständlich oder sperrig. Er trägt sehr zur Glaubwürdigkeit der ganzen Szenerie bei. Ich war selbst überrascht kein spätviktorianisches Werk vor mir zu haben, sondern etwas das im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verfasst wurde.
Der Text der englischen Ausgabe der Verlags Hamlish Hamilton aus dem Jahre 1983 wird von schlichten, skizzenhaften aber stimmigen Tuschezeichnungen von John Lawrence begleitet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Susan Hill gekonnt typische Elemente der Spuk-Erzählung vereint, um etwas zu schaffen, das einem in seinen Grundzügen vertraut vorkommt, aber dennoch neu und aufregend genug ist, um den Leser zu fesseln. Mit The Woman in Black wurde kein Genre neu erfunden, noch ist dies die originellste aller Geistergeschichten, dafür aber eine der schönsten in ihrer klassischen Form.

Zum Abschluss hier noch zwei meiner Lieblingsstellen aus The Woman in Black:
 Die erste steht exemplarisch für all die atmosphärisch schönen Wetter- und Naturbeschreibungen:


„Fog was outdoors, hanging over the river, creeping in and out of alleyways and passages, swirling thickly between the bare trees of all the parks and gardens of the city, and indoors, too, seething through cracks and crannies like sour breath, gaining a sly entrance at every opening of a door. It was a yellow fog, a filthy, evil-smelling fog, a fog that choked and blinded, smeared and stained.”

 Im folgenden Abschnitt erblickt Arthur Kipps das erste Mal den Geist:


„She was dressed in deepest black, in the style of full mourning that had rather gone out of fashion except, I imagined, in court circles on the most formal of occasions. [...] A bonnet-type hat covered her head and shaded her face, but, although I did not stare, even the swift glance I took of the woman showed me enough to recognize that she was suffering from some terrible wasting disease, for not only was she extremely pale, even more than a contrast with the blackness of her garments could account for, but the skin and, it seemed, only the thinnest layer of flesh was tautly stretched and strained across her bones, so that it gleamed with a curious, blue-white sheen, and her eyes seemed sunken back into her head.”
 
Dies ist das erste Buch, das ich für die R.I.P. Challenge gelesen habe.

Weiterschauen:
Der Roman wurde von den Hammer Studios mit Daniel Radcliff in der Hauptrolle verfilmt (Der spielte jahrelang den Typen mit der Blitznarbe auf der Stirn). Die Handlung wurde etwas frei übernommen und etwas drastischer weitergesponnen, um die 160 Seiten auf Spielfilmlänge zu bringen. Die bedrückende Stimmung wurde jedoch gut auf die Leinwand gebracht.
Mein Tipp ist, zuerst das Buch zu lesen, damit man sich nicht zu viel erwartet. Anschließend kann man sich den Film anschauen, noch einmal gespannt sein und sich wohlig gruseln.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen