Samstag, 20. Oktober 2012

Schlimmes Ende (Philip Ardagh)

(im Original: „Awful End“)

Eddie Dickens ist elf Jahre alt, als seine Eltern an einer seltsamen Krankheit zu leiden beginnen, durch die sie gelb werden, sowie ganz wellig an den Rändern und nach alten Wärmeflaschen riechen. Da es ihnen unter diesen Umständen unmöglich ist, für Eddie zu sorgen, soll dieser seinen wahnsinnigen Onkel Jack und die noch wahnsinnigere Tante Maud zu deren Haus, Schlimmes Ende, begleiten.
Die Geschichte erzählt von den skurrilen Personen, denen Eddie auf seiner Reise begegnet und was ihm während dieser widerfährt.









Very british, dieses Buch: Erstaunlich mit wie viel Unsinn und Absonderlichkeiten sich gerade mal 126 Seiten füllen lassen. Ardagh baut nämlich gerne absurde Sätze ein wie:
„Eddie Dickens öffnete zitternd (der Kleiderschrank war aus Espenholz) die Kleiderschranktür“

Weiters macht er sich oft und gerne über das 19. Jahrhundert lustig, in dem die Geschichte spielt, wie zum Beispiel in der folgenden Passage:
„Damals galt man, wenn man nur Unterhemd und lange Unterhose anhatte, als ausgezogen. Sehr viel nackter konnte man nicht werden. Wenn es damals Kinos gegeben hätte – die es damals nicht gab -, und sie hätten einen Film gezeigt, in dem jemand am Strand vorgekommen wäre, der nur mit Unterhemd und langer Unterhose bekleidet war, so hätte das einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Männer mit langen Bärten hätten Barrikaden errichtet und auf den Straßen wäre es zu Tumulten gekommen.“
 
Der Hauptcharakter Eddie Dickens scheint als etwas schüchterner, zurückhaltender und sehr höflicher Junge der einzig geistig Gesunde zu sein inmitten abgedrehter Persönlichkeiten, die in ihrer Beschreibung fast zu Karikaturen verkommen.
Da wären zu allererst Eddies Eltern, die sich ohne Misstrauen der fragwürdigen Therapie ihres Hausarztes hingeben, bei der sie an Eiswürfeln lutschen müssen, die die Form von berühmten Generälen haben, und die ständig den Namen ihres Sohnes vergessen.
Zum Hausstand der Dickens gehört unter anderem auch die Laberliese, ein Hausmädchen, das durch den acht-wöchigen Bettmachkurs gefallen ist und nun ein Leben in Schande im Schrank unter der Treppe verbringt. Sie wird mit allem gefüttert, das flach genug ist, um unter dem Türspalt hindurch zu passen.
Und dann gäbe es noch Mr. Pumblesnook, den Vorsteher eines Wandertheaters, dem Eddie auf seiner Reise in der Raststätte Zum Ausspann begegnet und der im Folge der Geschichte die Kutsche, in der Eddie mit seinen Verwandten reist, überfallen will und später gekonnt die Kaiserin von China mimt.
Respekt an den Übersetzter Harry Rowohlt, der allen Wortwitz und Unsinn ins Deutsche übertragen hat, ohne dass etwas von dessen Bedeutung verloren gegangen ist.

Am Verwunderlichsten ist, dass die Geschichte trotzdem Sinn macht und recht spannend wird, als mehr und mehr Probleme auftauchen. Nach allen möglichen Verwirrungen und Obstakeln, die Eddie auf seiner Reise durchleidet, findet sie zuletzt doch noch ein gutes Ende.

Der Text wird von feingliedrigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von David Roberts begleitet, der die skurillen Charaktere genau so verrückt darstellt, wie man sie sich in Gedanken ausmalt.

„Schlimmes Ende“ ist eher eine gekonnte Parodie oder verdrehte Homage auf das England des 19. Jahrhunderts als ein Kinderbuch. In kleinem Rahmen werden hier die Verklemmtheit, Spießigkeit und Umständlichkeit des viktorianischen Zeitalters aufs Korn genommen. Nicht selten hat mich der Text in seiner Absurdität und Ironie an Monty Python erinnert. Auch Lemony Snickets Zyklus über die Baudelaire Waisen, „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“, ist mir in den Sinn gekommen, auch wenn Snicket seine Geschichte nicht mit so viel lockerem Humor schreibt oder so auf die Spitze treibt wie Philip Ardagh.
Es ist zwar als Jugendbuch betitelt, aber ich bezweifle, dass vor allem jüngere Teenager genügend Sinn für Ironie für Ardaghs Werk mitbringen. Es ist ein Buch bei dem man viel schmunzeln und ab und zu auch laut loslachen kann, vorausgesetzt man versteht und mag diese Art von Humor.

„Schlimmes Ende“ ist der erste Teil von Philip Ardaghs Eddie-Dickens-Trilogie, der noch folgende zwei Bände angehören:
·         „Furchterregende Darbietungen“ (im Original: „Dreadful Acts“)
·         „Schlechte Nachrichten“ (im Original: „Terrible Times“)

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